Gesellschaft

Hamburg: Virale Aufnahme zeigt keine Demonstration gegen einen Weihnachtsmarkt

In einem Video in sozialen Netzwerken wird behauptet, eine muslimische Gruppe hätte in Hamburg gegen einen Weihnachtsmarkt demonstriert. Das soll eine Aufnahme belegen, die jedoch in einem anderen Kontext entstanden ist und keinen Zusammenhang zu Weihnachtsmärkten hat.

von Johannes Gille

Weihnachtsmarkt Rathausmarkt in Hamburg
Reges Treiben auf einem Weihnachtsmarkt in Hamburg (Symbolbild: Christian Charisius / dpa / Picture Alliance)
Behauptung
Eine Aufnahme zeige Muslime, die einen Weihnachtsmarkt in Hamburg umzingeln, um gegen diesen zu protestieren.
Bewertung
Falsch. Die Aufnahme stammt nicht von einem Weihnachtsmarkt, sondern von einer Demonstration im Oktober 2024 in Hamburg. Der Protest einer muslimischen Gruppe fand damals unter dem Motto „Stoppt den Genozid gegen unsere Uigurischen Geschwister in Ostturkistan“ statt und hat nichts mit Weihnachtsmärkten zu tun.

Kurz vor Beginn der Weihnachtszeit verbreiten mehrere internationale Kanäle in Sozialen Netzwerken ein Video einer Demonstration, auf der die Teilnehmer im Chor ein islamisches Glaubensbekenntnis auf Arabisch skandieren. Im Text über dem Video heißt es auf Englisch, tausende muslimische Immigranten hätten vor einem Weihnachtsmarkt in Deutschland protestiert, da dieser gegen ihren Glauben verstoße.

Unter deutschsprachigen Instagram-Beiträgen lösen die Bilder rassistische Hetze und Gewaltfantasien aus: Einige Nutzerinnen und Nutzer kommentieren das Video mit GIFs von Menschen, die Flammenwerfer schwingen. Andere rufen nach „Remigration“. Mehrere Kommentare wünschen sich, dass ein Auto oder LKW in die gezeigte Menschenmenge fahren würde.

Erneut ist es jedoch ein Fake, der den Hass anstachelt: Das Video ist bereits über ein Jahr alt und wurde nicht auf oder in der Nähe von einem Weihnachtsmarkt aufgenommen. Die Reaktionen zeigen, wie effektiv diese Art von Falschinformation dabei ist, Stimmung gegen Zugewanderte und Muslime zu machen.

Demonstration fand 2024 in Hamburg statt

Eine Bilderrückwärtssuche nach Ausschnitten aus dem Video findet zahlreiche Beiträge mit identischen Aufnahmen, die bereits über ein Jahr zuvor – im Oktober 2024 – veröffentlicht wurden. Die Kleidung der Personen und Details im Hintergrund zeigen, dass es sich um dieselbe Aufnahme handelt. Wir haben zwei eindeutige Merkmale hier markiert.

Screenshots von zwei Beiträgen auf X werden verglichen, um zu zeigen, dass es sich bei beiden um das selbe Video handelt.
Die Aufnahme der angeblichen Demonstration gegen einen Weihnachtsmarkt im November 2025 (links) ist identisch mit einem Video vom 13. Oktober 2024 (rechts). Das ist unter anderem an einer Jacke (rot markiert) und dem Werbeplakat im Hintergrund (grün) zu erkennen. (Quelle: X. Screenshots und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

In den Beiträgen von Oktober 2024 heißt es, es handle sich um eine Demonstration von Islamisten in Hamburg. Ein Vergleich mit Bildern von Google Streetview zeigt, dass die Aufnahme am Steindamm in Hamburg entstand. Am 12. Oktober 2024 – also einen Tag vor der erstmaligen Veröffentlichung des Videos – fand in Hamburg eine Demonstration der islamistischen Gruppierung „Muslim Interaktiv“ statt, die zu den Bildern passt.

Damals protestierten laut Medienberichten rund 1.600 Menschen unter dem Motto „Stoppt den Genozid gegen unsere Uigurischen Geschwister in Ostturkistan“. Der Verein hatte zuvor im April 2024 für Aufsehen gesorgt, nachdem Teilnehmer auf einer Veranstaltung die Erschaffung eines Kalifats gefordert hatten. Unter anderem wegen dieser Forderung wurde der Verein im November 2025 durch das Innenministerium (BMI) verboten.

Zwischen dem 1. November und dem 9. Dezember 2025 konnten wir hingegen keine Berichte oder Meldungen zu Demonstrationen an diesem Ort finden, die zu der Behauptung passen würden. Wer die Aufnahme ursprünglich verbreitet oder erstellt hat, konnten wir nicht mehr nachvollziehen.

Die Aufnahme ist also alt, und nicht nahe oder auf einem Weihnachtsmarkt entstanden. Die Demonstration richtete sich auch nicht wie behauptet gegen Weihnachtsmärkte.

Zahlreiche Fakes über Weihnachtsmärkte im Umlauf

Die Beiträge sind Teil eines Musters, das sich in Sozialen Netzwerken zur Weihnachtszeit präsentiert: Mal wird behauptet, dass Weihnachtsmärkte durch einen Käfig eingezäunt werden mussten, nur mit großem Polizeiaufgebot stattfinden könnten, oder aus Sicherheitsgründen komplett abgesagt seien. Häufig werden Musliminnen und Muslime oder Gewalt durch Migranten dabei als Grund für die angeblichen Probleme präsentiert.

Nicht zum ersten Mal werden in solchen Falschbehauptungen auch Aufnahmen aus dem Kontext gerissen. So recherchierten wir etwa im Dezember 2024, dass ein angeblicher „Sturm auf den Weihnachtsmarkt“ in Dresden eigentlich bundesweite Feiern auf den Straßen nach dem Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad zeigten.

Wir fragten die Psychologin Hannah Metzler, die zu Sozialen Netzwerken und Falschinformation forschte, warum insbesondere der Weihnachtsmarkt wiederholt Thema von Falschinformation sein könnte. Sie schrieb uns dazu, dass Weihnachtsmärkte in ihren Augen vor allem einen aktuellen Anlass für ein übergeordnetes Ziel bestimmter Formen von Falschinformation bieten würden: „Es geht darum, Ängste auszulösen, oder bereits vorhandene Ängste aufzugreifen, ein Gefühl der Unsicherheit zu schaffen“. Minderheiten ließen sich hierzu besonders gut instrumentalisieren, so Metzler.

Redigatur: Sara Pichireddu, Max Bernhard

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